Erfahrungen mit einer Trauergruppe als Telefonkonferenz
Ich wähle mich 10 Minuten vorher ein, um den Telkoraum zu eröffnen, und warte gespannt. Eine vertraute Wartemelodie wird eingespielt. Ich frage noch mal Emails ab, niemand hat sich per Email gemeldet. Drei Minuten vor Beginn tut sich noch nichts, zwei Minuten vor Beginn zeigt ein Klingelton an, dass die erste Person den Telkoraum betreten hat. Ich begrüße sie. Die erste Teilnehmerin spricht gleich ein Thema an, dass die ganze Telko bestimmen wird, die Corona Krise und wie surreal unser aller Leben geworden ist. Mit kurzem Abstand klinken sich fünf weitere Teilnehmer*innen ein. Ein Witwer meint, er vermisst den warmen Tee, den es sonst immer gibt.
Wir warten noch fünf Minuten, aber zwei Personen bleiben der Telko fern. Ich begrüße noch einmal alle und spreche eine kurze Einladung aus, sich den Gruppenraum vorzustellen, die Kerzen und das bunte Seidentuch in der Mitte. Dann lade ich zu einer Anfangsrunde ein. Der Witwer beginnt, wie schwer ihm gerade das Einkaufen und Kochen fällt. Als er fertig ist, tritt eine kurze, ratlose Stille ein. Ich erkläre, wir sehen jetzt nicht an ihrem Nicken, ob sie fertig sind. Bitte sagen Sie einfach, ich gebe den Stein weiter. Alle sind erleichtert.
Nach und nach erzählen alle Anwesenden von den besonderen Einschränkungen als Trauernde in der Corona Krise. Der virtuelle Stein wandert. Eine Person hat Glück, dass sie gerade Besuch von Sohn und Schwiegertochter hat, die bei ihr sind und von ihr aus Homeoffice machen. Homeoffice ist überhaupt das Thema, und viele klagen darüber, dass es ihnen zusätzliche Kontakte nimmt, die sie sonst auf der Arbeit hatten.
Das Thema Einkaufen beschäftigt viele. Eine Person engagiert sich, indem sie für ihre Eltern und eine Nachbarin mit einkauft und findet das gerade sehr stressig. Ein älterer Herr hat Angst, was er machen soll, wenn er nicht mehr alleine einkaufen gehen könnte. Alle empfinden die Atmosphäre beim Einkaufen im Moment als surreal und seltsam. Der nette Schwatz mit dem Metzger oder der Rewe Kassiererin findet nicht mehr statt.
„Die Angst ist ansteckend“, sagt eine, die bis jetzt wenig Hamsterkäufe gemacht hat. Wenn man so die leeren Regale sähe, müsse sie schon in Ruhe durchatmen. Die erzwungene Isolation bedrängt viele im Moment. Was sie an sozialen Kontakten hatten in Form von Sportkursen, Gottesdiensten, offenen Trauercafés ist weggefallen. Treffen mit Freundinnen sind nicht mehr möglich. Alle telefonieren viel oder schreiben Emails. Soziale Netzwerke nutzen die Älteren bis jetzt wenig.
Zwischendrin droht die Diskussion ins Gesundheitspolitische abzugleiten. Eine wirft die Frage auf, ob Corona nicht doch genauso harmlos oder sogar harmloser sei als die Grippe? Ich lenke sanft dagegen und sage, ich möchte hier kein Forum bieten für gesundheitspolitische Debatten. Es geht darum, wie es Ihnen mit der Krise geht und was Ihre Strategien als Trauernde sind. Viele sind dankbar, dass Spazierengehen noch geht, eine war im nahen Taunus spazieren mit ihrem Sohn. Die Sonne, die frische Luft, das habe ihr total gut getan.
Das viele in der Wohnung sein sei anstrengend, denn da sind sie umgeben von den 1000 Erinnerungen an den geliebten Menschen. Rauszugehen, sei es nur in einen Park, oder auf dem Friedhof einen längeren Spaziergang machen und bewusst mal alle alten Grabmale betrachten, das täte gut.
Ich empfehle allen das Netzwerk nebenan.de als praktischen Tipp für nachbarschaftliche Hilfe. Ich lese einen besinnlichen Text vor, den ich später allen per Email zusende. Am Ende lade ich zu einer Schlussrunde ein, die relativ kurz ausfällt.
Alle hatten noch nie an einer Telefonkonferenz teilgenommen. Die leichte Bedienbarkeit hat alle überzeugt. Es wäre etwas surreal, wie das ganze Leben im Moment, sich nur zu hören, nicht zu sehen. Alle hoffen, sich möglichst bald wieder sehen zu können. Aber es sei sehr schön, sich zu hören, sich Fragen zu stellen wie z.B. was ist aus Deiner Katze geworden, wie kommst Du mit dem Homeoffice klar, wo geht Ihr spazieren im Moment…
Am Ende leidet die Tonqualität etwas, der virtuelle Stein wandert noch einmal in der Runde und alle sagen, sie klinken sich sehr gerne nächste Woche wieder ein. Ich bin dankbar, dass ich selbst schon sehr viel Erfahrung habe im Leiten von Telefonkonferenzen durch mein Engagement in einer überregionalen Selbsthilfegruppe.
Es ist wichtig, jeden einzelnen anzusprechen, immer wieder zu Runden anzuleiten und alles kurz anzutexten. Denn wir sehen uns ja nicht mit Mimik und Gestik. Aber der Klang der einzelnen Stimmen ist unverkennbar und bei sieben bis zwölf Teilnehmerinnen und Teilnehmern lässt sich das Ganze noch sehr gut moderieren.
Alle Trauerbegleiter und Trauerbegleiterinnen müssen im Moment kreative Wege suchen, um ihre Klienten weiter zu erreichen, per Telefon oder Videosprechstunde, per Telko oder Zoom. Telkos haben den Vorteil, dass sie von älteren Menschen mit wenig Internetzubehör ganz einfach bedient werden können.
Herzliche Grüße, bleiben Sie gesund, halten Sie Kontakte, suchen Sie neue Wege! Und wenn Sie sich als Trauernde alleine fühlen, rufen Sie andere Menschen an oder verabreden sich zu regelmäßigen Telefonaten. Gerne können Sie auch Kontakt mit mir aufnehmen.
Monika Müller-Herrmann
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