Gedanken zur Patientenverfügung
24 % der Bevölkerung haben bereits eine Patientenverfügung, ca. 45 % wollen in den nächsten Monaten eine machen, und tun es dann doch nicht… ca. 25 % lehnen es gar ganz ab, eine zu machen. Zu welcher Gruppe gehören Sie?
Warum haben Menschen Angst, eine Patientenverfügung zu machen? Manche Menschen haben keinen Menschen im persönlichen Umfeld, den sie bevollmächtigen können. Andere Menschen haben Angst, etwas festzulegen, was sie später bereuen könnten. Andere glauben an die Rettungsfähigkeit der Medizin, wollen Maximaltherapie bis zum Schluss.
In manchen Pflegeheimen haben nur 11 % der Bewohner eine Patientenverfügung, in anderen schon 50 %. Eine Patientenverfügung zu machen, ist keine Bürgerpflicht, aber es beschäftigt viele Menschen, vor allem im zunehmenden Alter.
Aber gibt es überhaupt ein richtiges Alter dafür? Man muss mindestens 18 Jahre alt sein, das ist die untere Grenze. Junge Menschen, die Motorrad fahren oder Risikosportarten betreiben, sollten unbedingt eine machen. Was ist die obere Grenze? Sie ist nicht durch das Alter vorgegeben, sondern durch den Verlauf der Erkrankung. Wenn die Demenz zu weit fortgeschritten ist oder andere Krankheiten die Urteils- und Kommunikationsfreiheit einschränken.
Im Internet sind über 200 verschiedene Formulare im Umlauf, es gibt Vorsorgemappen selbst in der Bahnhofsbuchhandlung zu kaufen, und dennoch fällt es vielen Menschen schwer. Warum ist es so schwer, sich in diesem Markt an Angeboten zu orientieren? „Es ist so schwierig, weil es so konkret ist“. Es reicht nicht, einfach zu schreiben, ich will keine lebensverlängernden Maßnahmen mehr, es muss heute meistens konkreter sein. Seit 2009 gibt es ein eindeutiges Patientenverfügungsgesetz, dennoch haben viele Menschen Angst, ihre Patientenverfügung würde im Ernstfalle nicht respektiert.
Es gibt sehr gute Formulare, wie z.B. die vom Bundesministerium der Justiz oder die Vorsorgemappe der Deutschen Palliativstiftung. Dennoch sind viele Formulare so geschrieben, dass sie eher der Arzt versteht als der Patient, der sie ausfüllen muss. Daher benötigen die meisten Menschen eine Beratung. Das war übrigens im Gesetzgebungsverfahren zum Patientenverfügungsgesetz auch diskutiert worden, ob es eine Beratungspflicht geben soll. Der Gedanke wurde verworfen. Inzwischen ist es möglich, in den Betreuungsvereinen und in einigen Pflegeheimen regelmäßige Beratungen zu bekommen, allerdings werden die Stellen und die Voraussetzungen dazu gerade erst geschaffen.
„Es ist so schwierig, weil es so konkret ist…“, sagte eine Frau in einem meiner Vorsorgeworkshops. Was meinte Sie damit? Eine Patientenverfügung teilt sich auf in einen Geltungsbereich, der festlegt, für welche Situationen sie gelten soll, und in einen Maßnahmenkatalog. Der Geltungsbereich kann sehr konkret formuliert sein, z.B. sie soll nur gelten, wenn der Sterbeprozess bereits unumkehrbar eingesetzt hat. Das bedeutet, in den wenigen letzten Tagen und Stunden. Das ist ein zeitlich sehr enger Geltungsbereich. Ich kann auch sagen, wenn ich an einer unheilbaren Erkrankung leide, die fortschreitend ist und zum Tode führt, auch wenn der konkrete Todeszeitpunkt noch nicht genau absehbar ist.
Wenn ich in meinen Workshops fünf, sechs Möglichkeiten für so einen Geltungsbereich bespreche, muss ich sehr viel erklären, da es oft in den Formularen sehr abstrakt umschrieben ist. Warum ist das so? Wenn man nur schreiben würde, meine Patientenverfügung soll gelten bei Demenz und unheilbarem Krebs, würde sie z.B. nicht gelten, wenn ich im Wachkoma liege, wenn ich einen Schlaganfall oder ALS bekomme. Daher muss im Anschluss noch einmal konkret benannt werden, welche Maßnahmen ich möchte in der betreffenden Situation.
Es dauert in meinen Workshops immer einige Zeit, bis die Teilnehmer*innen in kleiner, gemütlicher Runde mit viel Nachfragen feststellen, was wie gemeint ist, wie das alles zusammen passt, welche Entscheidung welche Auswirkungen hat. Und dann können sie sich ja erst allmählich auf den Weg machen, zu erspüren, was sie selbst eigentlich wollen.
In allen Gesprächen zeigt sich immer wieder, dass Ärzte oder Palliative Care Fachkräfte die besseren Ansprechpartner sind als Juristen. Denn die vielfältigen medizinischen Begrifflichkeiten zu erklären, braucht ärztliches oder pflegerisches Fachwissen. Oft taucht dann eine Angst auf, was passiert, wenn ich so viel ablehne, und es wird sich wirklich daran gehalten.
Eine Patientenverfügung kann jederzeit formlos wiederrufen werden, solange ich noch kommunizieren kann. Wir hatten im Hospizdienst einen Patienten, der an einer seltenen Lähmungserkrankung erkrankt war, er kommunizierte am Ende nur noch mit Sprachcomputer. Er wollte wenige Wochen vor seinem Tod doch noch künstliche Ernährung und hat erst wenige Tage vor seinem Tod damit aufhören wollen.
Wir wissen alle nicht, wie wir uns damit fühlen werden, wenn wir fortgeschrittenen Krebs, einen Schlaganfall oder fortgeschrittene Demenz haben werden. Hierbei ist es hilfreich, eine wichtige Vertrauensperson als Bevollmächtigte einzusetzen und einen freiformulierten Bogen mit meinen Wertvorstellungen beizulegen. Damit im Notfalle ein Rahmen gesetzt ist, um die Ausdeutung des „Mutmaßlichen Willens“ vornehmen zu können. Denn keinem gelingt es, alle Eventualitäten in einer Patientenverfügung festzuhalten…
Hinzu kommt, dass manche Menschen viel zu lange warten, eine abzufassen, obwohl ihre Angehörigen immer wieder darum bitten. Sie haben Angst, sich zu informieren und festzulegen und sich damit in die Hände der anderen zu begeben. Dabei ist es für die Angehörigen eine große Entlastung, wenn die Dinge ausgesprochen und schriftlich festgehalten worden sind. Als Notlösungen gibt es jetzt das Hilfskonstrukt der Vertreterverfügung, für Menschen, die im Nachhinein z.B. für ihre dementen Angehörigen einen Text mit dem mutmaßlichen Willen festhalten wollen.
Falls Sie an dem Thema Interesse haben, bestellen Sie sich z.B. die Vorsorgemappen der Deutschen Palliativstiftung. Oder kommen Sie zu einem Vorsorgeworkshop in meine Praxis. Der nächste wird z.B. am 5.10.2019 in der Frankfurter Innenstadt angeboten. In entspannter Runde an einem Samstagvormittag bei einem Brunch mal alle Fragen stellen können und mit einem dicken Ordner an Informationsmaterial nach Hause gehen können… das ist doch eine gute Gelegenheit, sich dem Thema mal zu stellen?
Herzliche Grüße,
Monika Müller-Herrmann
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