Demenzdiagnostik… macht das Sinn?
Immer wieder werde ich gefragt, Demenzdiagnostik, macht das überhaupt Sinn? Sollen wir unseren Vater oder unsere Mutter dazu überreden? Obwohl sie noch im Leben stehen, aber erste Anzeichen zeigen? Sollen wir sie dazu drängen? Oder ist das Ergebnis nicht völlig niederschmetternd, da überhaupt unheilbar? Wie läuft eine Demenzdiagnostik ab und was kann dabei herauskommen? Eine gute Demenzdiagnostik braucht ein multiprofessionelles Team. Der Hausarzt und auch der niedergelassene Neurologe alleine können das nur anbahnen, nicht alleine leisten. Es ist wichtig, sich an eine gute Gedächtnisambulanz oder Memoryklinik überweisen zu lassen.
Hier arbeiten Ärzte, Psychologen und Sozialarbeiter zusammen. Zu den Terminen wird eine Begleitperson benötigt, da man sich alleine nicht erinnern kann, wie oft man etwas vergisst. Das Befragen der Angehörigen nennt man Fremdanamnese. Dann werden Blutwerte genommen, spezielle Bildaufnahmen des Gehirns gemacht, psychologische Tests und neurologische Untersuchungen. In einzelnen Fällen wird auch Rückenmarksflüssigkeit entnommen. Warum lohnt es sich, in so einen Prozess zu gehen, der vielen älteren Menschen Angst macht? Weil Diagnosen herauskommen können, die wie eine Demenz wirken, die aber behandelbar sind. Ein zweites Argument für eine gute Frühdiagnostik ist, selbst wenn eine Demenz herausgefunden wird, dass dann noch viel Zeit bleibt, um Dinge zu regeln.
Früher hatte man gesagt, die beste Diagnose kann nur der Pathologe stellen. Heute ist die Demenzdiagnostik so weit vorangeschritten, dass nicht nur abgebaute Zellbereiche im Bild des Gehirns zu erkennen sind, sondern schon Gehirnareale, in denen eine verminderte Zellaktivität stattfindet. Diese spezielle Bildaufnahme nennt man Positron Emission Tomographie. Dabei wird ein radioaktiv markiertes Zuckermolekül genutzt, dass sich aber schnell abbaut. Bei den Blutwerten werden einige Infektionskrankheiten ausgeschlossen, Vitaminmangelzustände und eine Schilddrüsenunterfunktion. Starke Vitamin B oder Folsäure Mangel und eine unerkannte Schilddrüsenunterfunktion können sehr ähnliche Symptome wie eine frühe Demenzerkrankung auslösen, sind aber gut behandelbar und können sich unter guter medikamentöser Therapie bessern.
Die psychologischen Tests dienen dem Erkennen des Sprachverständnisses, der Benennung von Gegenständen, dem Testen der Orientierungsfähigkeit und Wahrnehmung, aber auch dem Ausschluss einer Depression. Depressionen werden bei älteren Menschen oft nicht erkannt. Eine unerkannte Depression kann aber auch wie Anzeichen einer beginnenden Demenz wirken: Niedergeschlagenheit, Merkschwäche, nachlassendes Interesse an Hobbys, Entscheidungsschwierigkeiten, Vergessen kurz zurückliegender Ereignisse, all das kann auch bei einer Depression auftreten. Depressionen sind auch sehr ernstzunehmende Erkrankungen, meistens aber deutlich besser behandelbar als eine Demenz.
Auf einen Termin in einer Gedächtnisambulanz müssen Sie meistens lange warten und Sie benötigen eine Überweisung. Ihr Vater oder Ihre Mutter benötigen eine gute Begleitung. Denn wenn es wirklich eine Demenz ist, werden sich Ihre Eltern in dem fremden Gebäude nicht alleine zurecht finden und sich auch die Termine, meist drei bis fünf Untersuchungen, nicht merken können. Die Untersuchung wir Ihren Eltern Angst machen, evtl. streiten sie alles ab. Die Ärzte kennen so ein Verhalten und wissen das einzuschätzen. Vertreten Sie ruhig Ihre Sicht der Dinge, lassen Sie Ihre Eltern auch zu Wort kommen, betonen Sie den Sinn der Untersuchungen, die Vorsorgemöglichkeiten und die Chancen, dass auch andere Dinge herausgefunden werden können als eine Demenz.
Das prominenteste Opfer eines tragischen Missverständnisses ist Gunther Sachs, der in den Freitod ging, weil er meinte, an sich selbst festgestellt zu haben, dass er an einer Demenz leidet. Niemand kann das alleine an sich selbst, durch Selbstbeobachtung, gefärbt mit Angst, sicher beobachten. Gunther Sachs hat keinerlei Diagnostik gewählt, vermutlich war er depressiv, und ihm hätte geholfen werden können. Bewahren Sie Ihre Eltern vor tragischen Kurzschlüssen! Beziehen Sie den Hausarzt mit ein ins Gespräch oder den Pflegedienst, also Menschen, die Ihre Eltern gut kennen.
Was sind nun Anzeichen einer frühen Phase von Demenz? In der Wohnung meiner Schwiegermutter häuften sich damals Unmengen von Notizzetteln, auf denen sie immer wieder das Gleiche notierte. Sie rief uns in kurzen Abständen immer wieder an, um uns das Gleiche zu fragen. Sie benutzte sehr häufig wiederkehrende Redewendungen, um davon abzulenken, wenn sie etwas nicht verstand. Komplexe Alltagssituationen wie das Ausfüllen eines Überweisungsformulars wurden schwierig für sie. Sie suchte sehr häufig Dinge, die sie verlegt hatte. Sie war misstrauischer geworden und eifersüchtiger. Sie verwechselte sehr oft Datum und Uhrzeit. Sie war oft niedergeschlagener Stimmung und ihre Sicht auf die Dinge war eher negativ. Sie hat sich auch sehr lange gewehrt gegen eine Diagnostik, zumal sie selbst als Arztsekretärin gearbeitet hatte. Sie hatte viele Jahre lang psychiatrische Befunde getippt. Es war für sie unvorstellbar, jetzt selbst Gegenstand eines solchen Befunds zu werden. Mein Mann hat sie zu allen Terminen begleitet. Wie oft in großen Kliniken, waren die Ärzte alle deutlich jünger als sie. Es fiel ihr schwer, Ihnen zu glauben und sie hat die Diagnose verdrängt.
Lohnt es sich, auch in mittlerem Stadium noch eine Demenzdiagnose zu machen? Meiner Meinung nach ja, denn je nach Demenzform können Sie sich auf einen anderen Verlauf einstellen. Eine Alzheimer Demenz nimmt einen chronischen, fortschreitenden Verlauf. Eine Demenz vom vaskulären Typ kann sich auch auf einem Zwischenniveau gut stabilisieren.
Meine Schwiegermutter hat die Antidementiva nicht gut vertragen, aber ein niedrig dosiertes Antidepressivum half ihr wenigstens gegen die Niedergeschlagenheit und Appetitlosigkeit. Mein Onkel litt an Depressionen, ihm halfen viel Gartenarbeit und gute Gespräche. Er hatte ebenfalls große Angst, von Demenz betroffen zu sein. Während meine Schwiegermutter jetzt seit 15 Jahren mit Demenz lebt, hält mein Onkel selbst in hohem Alter noch Vorlesungen. Die Entwicklungen im Alter können ganz unterschiedlich sein und weit auseinander gehen. Aber am Anfang der Selbstbeobachtung, wenn ältere Menschen feststellen, ich werde vergesslicher, unkonzentrierter und niedergeschlagener, ist es ganz schwer, selbst zu überprüfen und einzuschätzen, was es genau ist. Es macht große Angst und auch wenn in den Ginko Reklamen alles immer so leicht auszusehen scheint, plagt viele ältere Menschen die Angst vor Vergesslichkeit und nachlassender geistiger Leistungsfähigkeit.
Ich wünsche Ihnen, dass Sie das alles noch lange nicht brauchen. Falls aber doch, scheuen Sie sich nicht, ein offenes Gespräch mit Ihren Eltern zu suchen und mit dem Hausarzt Ihrer Eltern. Haben Sie Verständnis, wenn Ihre Eltern den Gang zur Untersuchung lange hinauszögern und wenn Sie Angst davor haben. Sprechen Sie immer wieder an, dass es viele verschiedene Wege der Ergebnisse einer solchen Untersuchung gibt und durchaus behandelbare Optionen. Besprechen Sie alle Wege der Vorsorge und alle Regelungsmöglichkeiten, wenn es dann soweit ist. Dazu können Sie dann auch den Sozialarbeiter der Klinik nutzen.
Herzliche Grüße, für Sie und Ihre Eltern eine möglichst gute Beratung und Diagnostik,
Monika Müller-Herrmann
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