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Trauer um die alten Eltern, ...obwohl sie noch leben

Trauer um die alten Eltern, obwohl sie noch leben…

 

 

Einige Menschen meiner Generation empfinden Trauer um ihre alten Eltern, obwohl sie noch leben. Langjährige Krankheiten wie z.B. Demenz haben die Eltern über viele Jahre sehr verändert. Demenz ist ein Abschied zu Lebzeiten. Der Körper der Eltern ist noch da, die Persönlichkeit hat sich schon lange sehr verändert. Die Eltern werden immer hilfloser, brauchen Pflege rund um die Uhr und Hilfe und Betreuung. Die Besuche bei den alten Eltern erfüllen einen mit Traurigkeit. Geht es Ihnen auch so?

 

 

Als ich meine Schwiegermutter vor 19 Jahren kennen lernte, war ich eine gestandene Altenpflegerin und eine angehende Psychologin. Mein Mann bemühte sich, mir zu sagen, sie sei zwar etwas vergesslich, misstrauisch und sehr eifersüchtig, aber eine sehr liebevolle Mutter. In ihrer Küche häuften sich die Notizzettel. Sie rief sehr oft mehrmals kurz hintereinander bei uns an, um uns das Gleiche mitzuteilen. Ich hatte früh den Verdacht, dass sich bei ihr eine Demenz entwickelte. Es dauerte zwei Jahre, bis wir sie endlich überreden konnten, in die Gedächtnisambulanz zu gehen. Es gab in der Diagnostik erste Anhaltspunkte, aber die Ärzte waren noch zurückhaltend. Zwei weitere Jahre später, bei einem plötzlichen Krankenhausaufenthalt meines Schwiegervaters, traten die Probleme klar zu Tage. Meine Schwiegermutter war nicht mehr in der Lage, alleine zurecht zu kommen. Mein Schwiegervater hatte es lange kompensiert.

 

 

Es folgte eine erneute Vorstellung bei der Gedächtnisambulanz, viel zu spät eine Einstellung auf Antidementiva, dann eine Phase von drei Jahren Pflege zu Hause, die mein Schwiegervater leistete. Mein Mann und ich waren voll berufstätig, nahmen sie manchmal am Wochenende zu uns. Dann kam der Punkt, als er es nicht mehr schaffte. Wir leiteten eine Aufnahme in ein sehr gutes Pflegeheim ein, das einen sehr guten Ansatz für dementiell erkrankte Menschen hatte.

 

 

Es folgte eine schwere Phase des Einlebens im Pflegeheim, was aber dank der wirklich sehr liebevollen Atmosphäre dort gut gelang. Meine Schwiegermutter lebt noch heute im Heim, sie erkennt uns nicht mehr. Sie reagiert auch mimisch nur noch sehr wenig, aber wenn mein Mann an ihrem Bett sitzt und sie liebevoll streichelt oder ihr die Hand hält, entspannt sie sich sichtlich. Er empfindet, wie viele Angehörige in dieser Situation, Trauer um seine Mutter.

 

 

Mein Schwiegervater ist längst gestorben, meine Schwiegermutter hängt irgendwie noch am Leben, obwohl sie nur noch sehr kleine Portionen isst, nur noch angedickte Flüssigkeit trinken kann. Wir haben uns nach langem Ringen gegen eine Ernährung mit PEG Sonde entschieden, sie ist jetzt 87 Jahre alt, wir wollen die Krankheit nicht aufhalten, eine Ende aber auch nicht beschleunigen. Immer wieder sind z.B. bei Infekten schwierige Entscheidungen zu treffen, soll sie noch mal ins Krankenhaus, wieder Infusionen bekommen, Antibiotika bekommen.

 

 

Mein Mann gibt immer wieder an, dass er nach jedem der Besuche bei ihr sehr traurig ist, besorgt und nachdenklich. Da ist Trauer angesichts ihrer, aber auch seiner Hilflosigkeit. Nicht viel tun zu können, außer da zu sein, eine Hand zu halten, etwas Flüssigkeit oder ein paar Löffelchen angedickten Saft zu geben, ihr die Stirn zu streicheln. Eine direkte Verständigung ist nicht möglich. Keiner weiß, was Demente in diesem fortgeschrittenen Krankheitsstadium wirklich empfinden, was sie wie wahrnehmen. Menschliche Nähe wirkt positiv. Musik, der Klang einer langvertrauten Stimme.

 

 

Meinem Mann hilft es, wenn er nach den Besuchen bei seiner Mutter noch einen kleinen Spaziergang macht und mir danach davon erzählen kann. Mal sagt er, heute hat sie gar keine Notiz von mir genommen. Mal sagt er, heute hat sie mich mal für einen Moment liebevoll angeschaut, das war sehr schön. Mal sagt er, heute hat sie mich ganz verwundert angesehen, sie wusste wohl wieder gar nicht, wer ich bin.

 

 

Wichtig ist, dass sagen alle Angehörige in der Situation, dass Sie nicht vergessen, es ist Ihre Mutter, Ihr Vater. Auch wenn er oder sie Sie nicht erkennt. Auch wenn Sie nach den Besuchen Trauer, Hilflosigkeit und Ratlosigkeit verspüren, die Besuche sind für Sie und Ihre Eltern ganz wichtig. Es ist ein langer, langsamer Abschied auf Raten, aber jeder Besuch ist wertvoll. Planen Sie nach den Besuchen eine Pause ein, gehen sie nicht sofort zum Alltag über. Würdigen Sie, dass es eine besondere Situation ist, einen Menschen mit langjähriger Demenz zu besuchen und immer wieder an Grenzen zu stoßen. An Grenzen der Verständlichkeit, des Aushaltens, und immer wieder diese Traurigkeit zu spüren.

 

 

Sie hätten Ihren Eltern einen anderen Lebensabend gewünscht, rüstig, bei geistiger Klarheit, selbstbestimmt. Mein Onkel im gleichen Lebensalter hält immer noch Vorlesungen. Die Bandbreite des Erlebens und Verhaltens, wie jemand altert, kann sehr weit auseinanderliegen. Versuchen Sie zu akzeptieren, dass das Wichtigste, was Sie für Ihre Eltern noch tun können, diese Besuche sind. Und wenn Sie jemand brauchen, um darüber zu sprechen, suchen Sie nach einem Treffen von Angehörigen z.B. der Alzheimerhilfe. Sie können auch professionelle  Einzelgespräche in größeren Abständen für sich planen. Holen  Sie sich auch für sich die Hilfe, die Sie brauchen!

 

 

Ich wünsche Ihnen Geduld und Ausdauer und Mitgefühl, mit sich und Ihren Eltern, und Ihren Eltern die bestmögliche Pflege,

 

 

Monika Müller-Herrmann

 

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Kommentare: 8
  • #1

    Anke (Montag, 29 Januar 2018 12:38)

    Danke für den schönen und einfühlsamen Artikel! In dieser Situation fühlt man sich als Angehöriger oft sehr alleingelassen.

  • #2

    Jutta (Freitag, 01 Februar 2019 00:39)

    Meine Schwiegermutter ( 87) ist nach einem Krankenhausaufenthalt nicht mehr nach Hause gekommen, sondern auf Dringen von Ärzten und psychologischem Dienst ins Pflegeheim verlegt worden, Diagnose: Demenz! Wir waren schockiert und gleichzeitig hatten wir auch Angst vor der Zukunft, Demenz: schlimm, krass, können wir nicht bewältigen, Mutter wird nicht „normal“ alt werden, wie schaffen das nicht! All das schoss uns direkt in den Kopf!.... mit Recht! Ihr Zustand war anfangs tüddelig, vergesslich, wortfindungsstörungen und die Orientierung lies auch nach, aber nach einem epileptischen Anfall ging es „richtig los“! Bis dahin war es für Mutter und uns eine gute Entscheidung, sie hatte sich eingelebt, nahm an den dortigen Aktivitäten Teil, alles war gut! Bis es zu einem epileptischen Anfall kam: sie wurde in einem kritischen Zustand von der heimischen Raumpflegerin „gefunden“ und diese arlamierte Schwestern, Notarzt usw., Mutter wurde reanimiert, mit Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht und nach einer Nacht wieder zurück ins Pflegeheim. Seitdem ist alles anders: unsere Ängste von damals, die wir bis dato nicht mehr hatten, wurden bestätigt! Vorgestern (2 Jahre später) war ich die Schwester, die sich um ihre (verstorbenen) Eltern kümmern sollte und heute bin ich die Mutter, die sie mit nach Hause nehmen soll. Ich stehe morgens auf, kaum geschlafen, wegen seelischer Vorbereitung auf den täglichen Besuch bei Mutter, erledige nur noch das nötigste im Haushalt und komm dann total entkräftet wieder von den täglichen besuchen nach Hause. Heute wurde ich von der Schwester nachhause geschickt, weil mein Blutdruck extrem gestiegen war. Ich fühle mich mittlerweile selbst ausgelaugt, bin in psychiatrische Behandlung, fühl mich leer und bitte meinen Mann immer wieder aufs neue mir so einen Zustand zu ersparen! Ich lese immer wieder, dass die Demenz-Kranken nicht wissen was sie tun, was sie sagen, die vergessen alles wieder, können nichts dafür... alles richtig, tut mir wirklich leid! Aber: ich vergesse nicht, ich kann nicht abschalten, ich bin wütend, ich brauch mittlerweile einen Psychiater, brauche Medis, wovon ich bis vor 2 Jahren nicht wusste, dass es sie gibt, ich muss tagtäglich sehen und (er)-leben das nicht nur meine Schwiegermutter sich von ihrem „alten Leben“ verabschiedet sondern auch meine ganze Familie und ich bin auch nicht mehr weit entfernt von der „anderen Welt“! Ich habe keine Kraft mehr! Um eins beneide ich meine Schwiegermutter, sie durfte 87 tolle, sorgenfreie Jahre erleben und leben, ich bin mit meinen 59 Jahren am Ende, mittlerweile wünsche ich mir, morgen nicht mehr aufzuwachen....

  • #3

    Monika Müller-Herrmann (Freitag, 01 Februar 2019 09:31)

    Liebe Jutta,
    danke für Ihren bewegenden, sehr persönlichen Artikel. Wenn Sie in der Nähe von Frankfurt wohnen, biete ich Ihnen sehr gerne eine Beratung an. Pflege kann so sehr auslaugen, dass man in ein Burn out oder in eine echte Depression gerät. Ich wünsche Ihnen, dass Sie Hilfe finden.
    Mit herzlichen Grüßen,
    Monika Müller-Herrmann

  • #4

    Jutta (Freitag, 01 Februar 2019 13:45)

    Vielen Dank Monika,
    irgendwie musste ich mal „Dampf ablassen“, tat gut! Bitte machen Sie sich keine Sorgen, bin in Behandlung! Ich werde jedoch meine Besuche bei Schwiegermutter ein wenig reduzieren, sonst 6 x die Woche jetzt vielleicht nur noch 5x, mal schauen. Ich wünsche allen Angehörigen, die selbst pflegen wollen, alles erdenklich gute und ganz viel Kraft! Aber bitte gebt euch dabei nicht ganz hin, sonst seid ihr die „Pflegebedürftigen“! Es ist keine Schande, wenn man zugibt nicht alles zu schaffen! Unsere Eltern wurde/werden teilweise wieder wie die kleinen Kinder, und was haben wir mit unseren Kindern gemacht? Haben wir nicht auch da einen „Wellnesstag“ oder „Auszeit“ von der Familie wahrgenommen, Einkäufe, Shoppingtouren, Fitniss, joggen, usw. und alles trotz kleiner Kinder, es ging, die „Freiheit“ hat man sich genommen! Und bei Mutter soll das nicht gehen? Bei mir gehts momentan noch nicht, es hat noch nicht „Klick“ gemacht, aber ich arbeite daran!....und ab und zu mal in den Wald fahren, dort mal richtig los schreien hilft auch, wenn es wieder mal Zuviel wird (geht auch im eigenen Keller ;-)
    Ich bedanke mich, dass ich hier schreiben durfte und hoffe, einigen das „schlechte Gewissen“ etwas genommen zu haben, denn DAS brauchen und sollten wir Alle nicht haben, wir lieben unsere Eltern, so wie wir unsere Kinder lieben.
    Allen alles Gute!!!

  • #5

    Beate (Donnerstag, 14 Januar 2021 07:14)

    Vielen Dank für den hilfreichen Bericht, Frau Müller-Herrmann,

    Sie sxhreiben ganz richtig, dass Besuche das Wichtigste sind. Ganz scheierig ist für mich, dass Besuche bei meiner dementen 89-jährigen Mutter coronabedingt nicht möglich sind. Keine Umarmungen, kein Streicheln ihres Arms...
    Geimpft wurde in dem Pflegeheim noch nicht.

    Das ist schwer auszuhalten, wenn man sie nicht besuchen darf.

    Viele Grüße von
    Beate

  • #6

    Monika Müller-Herrmann (Donnerstag, 14 Januar 2021 18:17)

    Liebe Beate,
    ja, ich bin dankbar, dass meine Schwiegermutter Reni, die wir 17 Jahre lang mit Demenz begleitet haben, nicht mehr lebt. Sie ist vor zwei Jahren gestorben. Es wäre uns auch sehr schwer gefallen, auf Besuche zu verzichten. Gerade der Körperkontakt ist ja bei Menschen mit Demenz ganz wichtig.
    Mit herzlichen Grüßen,
    Monika Müller-Herrmann

  • #7

    Heike Sonne (Sonntag, 01 September 2024 21:07)

    Danke. Ich kann das so nach vollziehen. Ich fühle auch ständig Trauer, obwohl mein Vater noch lebt. Durch einen Herzstillstand mit Wiederbelebung arbeitet sein Gedächtnis nicht mehr so gut. An manchen Tagen ist er klar und dann "kippt"es wieder, dass ich das Gefühl habe, er ist 2 Personen in einer.

  • #8

    Monika Müller-Herrmann (Montag, 02 September 2024 09:50)

    Liebe Heike Sonne,
    vielen Dank für Ihre kurze Rückmeldung und Ihre eigenen Erfahrungen. Diese "vorweggenommene Trauer" kann uns lange begleiten...
    Herzliche Grüße
    Monika Müller-Herrmann